Über das Projekt
Litterae annuae oder Jahresberichte der Ordenshäuser der Gesellschaft Jesu stellen eine
außerordentlich wertvolle und einzigartige Quelle dar, die sowohl Historiker als auch
Spezialisten für Kunstgeschichte zum Studium der verschiedensten Aspekte des Lebens der
Angehörigen der Societas Jesu gern und oft benutzten und benutzen. Erst in der letzten
Zeit orientieren sich sowohl einheimische als auch ausländische Historiker und
Philologen ans tiefere Begreifen der Genesis dieser Texte und zugleich bemühen sie sich,
diese Texte durch kritische Editionen nahezubringen.
Die handschriftlichen Texte der Berichte sind den Forschern entweder in entsprechenden
Archiven und Bibliotheken oder in digitalisierter Form on-line zugänglich (siehe
Übersicht der erhaltenen Konvolute der litterae annuae nach dem Ort ihrer ursprünglichen
Aufbewahrung ). Die modernen kritischen Editionen der Berichte kommen jedoch im
gesamteuropäischen Maßstab nur ausnahmweise vor.
Unser Projektteam entschied sich, die Jahresberichte der einzelnen Häuser der
Böhmischen Provinz durch die elektronische Edition im Format TEI 5 schrittweise
zugänglich zu machen und dafür wählten wir die Verfahren, welche die veröffentlichte
Methodik der Evidenz der Belege der materiellen Kultur in narrativen Quellen mit
Orientierung auf das Zugänglichmachen der kultur-historischen Informationen in
fremdsprachigen Quellen darstellt.
Die digitale Edition litterae annuae wird der belehrten Öffentlichkeit, den Forschern
der historischen Fächer und den Philologen bestimmt. Sie will passende erklärende
Anmerkungen bringen, die auch den Weg zu weiteren Informationsquellen bieten, die z.B.
in der BBDR-Databasis zu finden sind. Die Texte kann man in vielen Schichten
durchsuchen, der text-kritische Apparat in voller oder vereinfachter Form ist
selbstverständlich.
Das langfristige Ziel des Projekts liegt einerseits im Bilden des funktionierenden
Milieus und der Arbeitsverfahren für das Editieren der litterae annuae oder ähnlicher
Texte und andererseits in der Veröffentlichung einer repräsentativen Menge von
Jahresberichten.
Als erste wurden zwei Jahresberichte des Teltscher Kollegs im Rahmen des Projekts
Teltsch und Jesuiten, Orden und seine Mäzene (Telč a jezuité, řád a jeho mecenáši)
experimental veröffentlicht. Für den Text des Berichts fürs Jahr 1702 wurde die Form der
vollständigen textuell-kritischen Edition gewählt, der Text des Berichts für das Jahr
1729 wurde in der Form der kommentierten Edition mit dem vereinfachten
textuell-kritischen Apparat vorgestellt.
Wenn auch wir das Milieu der digitalen Edition LA schon einige Jahre entwickeln,
befinden wir uns immer in der Anfangsphase des Experimentierens v.a. mit Möglichkeiten
des Registerns, der Visualisierung oder der Verknüpfung mit Databasen und deshalb sind
Ihre beliebigen Anmerkungen und Ihre Hilfe sehr erwünscht!
Literae annuae provinciae Bohemiae
Sog. Jahresberichte (litterae annuae) gehören zu den am öftesten erhaltenen narrativen
Quellen der Ordensprovenienz in der Frühen Neuzeit, ungeachtet der Tatsache, dass dieser
besondere Genretyp der Schriftlichkeit nur aus dem Milieu des Jesuitenordens bekannt
ist.
Diese Texte, die mehr oder weniger verbindliche Struktur aufweisen, entstanden
alljährlich in allen Ordenshäusern, hielten die Tätigkeit der Jesuiten im vergangenen
Jahr im gegebenen Ort fest. Sie sollten sowohl die Vorgestellten in der Provinz und im
Ordenszentrum in Rom, als auch die Mitbrüder in der Provinz informieren.
Mehr
Litterae annuae stellen im Wesentlichen den Text an der Grenze der historischen
Narration und des Amtsberichts dar. Sie dienen den Forschern als die wichtigste und
manchmal auch einzige Quelle zur Geschichte der Ordenshäuser und ihrer Tätigkeit. Im
Kontext der Zeit erfüllten sie sowohl die Rolle der Präsentation, als auch die Rolle
der Konmemoration und Formation. Die Präsentation der Tätigkeit im entsprechenden Jahr
sollte zum Betonen der Verdienste oder zur Verteidigung oder Erklärung der Mängel vor
den höchsten Vorgestellten dienen und Elogien der Verstorbenen oder Schilderungen der
Pastorationserfolge sollten Mitglieder anderer Provinzhäuser anregen. Diese konnten
die Jahresberichte als Tischlektüre lesen, weil die Texte durch die Provinz
kursierten/umliefen.
Litterae annuae gehörten praktisch von den Anfängen des Ordens zu den pflichtigen
Schriftstücken und erfuhren einige Veränderungen. Zum radikalsten Eingriff kam es am
Anfang der 40er Jahre des 18. Jahrhunderts, als die bisherigen Berichte der einzelnen
Häuser durch die thematisch eingegliederten Annalen der ganzen Provinz ersetzt wurden.
Die gründlichen Inhaltskreisen der Jahresberichte begrenzten die Parahraphen 28 und
29 der sog. formulae scribendi, welche Bestandteil der Regeln ist. Der erste
Themenkreis fasste Informationen über die personale Struktur des Ordenshauses und
seine verstorbenen Mitglieder zusammen. Dann sollte die Schilderung des Fortschritts
der Mitglieder der Kommunität im geistlichen Leben folgen, die jedoch meistens nur mit
einem Satz bewertet oder ganz ausgelassen wurde. Den inhaltreichsten und bedeutendsten
Teil der Jahresberichte bildeten die Aufnahmen von der geistlichen Wirkung der
Gesellschaft. Viel weniger weitläufig war der Teil, der den Ordensschulen und dem
Funktionieren der Seminäre oder Konvikte gewidmet wurde. Den Schluss bildeten sehr
kurze Informationen über die Wirtschaft. Danach wurden Nachrichten aus besonderen
Wirkungsorten der Ordensmitglieder angeschlossen, welche z B. Missionshaltestellen und
Wallfahrtsorte, regelmäßige und besondere Missionsreisen oder die Tätigkeit der Väter
in den Probationshäusern betrafen.